Als Evaluatorin ist es für mich natürlich ein wichtiger Aspekt, diese Kampagne ganzheitlich zu bewerten. Ziel einer politischen Kampagne ist die Herbeiführung einer politischen Entscheidung: die Abstimmung im Gemeinderat gegen die Ansiedlung der Privatschule. Das haben wir erreicht: Nach drei Monaten der Auseinandersetzung mit dem Thema stimmten 13 von 22 Gemeinderäten gegen die Ansiedlung. Damit war das Hauptziel erreicht. Nun würde es den gesamten Prozess aber unangemessen vereinfachen, betrachtete man nur das Gesamtergebnis. Systematisch evaluiert sind folgende Aspekte von Belang: Planung, Prozesse, Maßnahmen, Medienresonanz, Zielgruppenresonanz und zu guter Letzt die Entscheidung, Beziehungen und Reputation. Gemäß meinem Ansatz strategischer und kontinuierlicher PR-Evaluation stelle ich daher im Folgenden alle relevanten Aspekte dar und leite in einer Stärken-Schwächen-Analyse die Verbesserungspotenziale und Erfolge der Kampagne her.
I. Die Planung
Die Planung lief in enger Abstimmung in einem Team von Elternvertretern und Schulleitung. Die Vorgehensweise wurde abgesprochen und auch kurzfristig den Gegebenheiten angepasst. Das Fernziel wurde nicht aus den Augen verloren - selbst wenn es für den externen Beobachter an manchem Punkt so erschien. Taktisches Zurückziehen gehörte ebenso zur Strategie wie offene Konfrontation mit Fragen.
II. Prozesse
Die internen Prozesse liefen reibungsfrei. In der externen Kommunikation mit Gemeinderäten gab es Überraschungen, die teilweise zu unüberlegten emotionalen Diskussionen führten. Es gab auch Handlungen oder Informationspolitik unsererseits, die Menschen persönlich verletzten - ohne dass das unsere Absicht gewesen war. Für diese Verletzungen haben wir uns öffentlich entschuldigt und die entsprechende Argumentationskette fallen gelassen. Es gab angeblich unschöne persönliche verbale "Angriffe" im Ort gegen Mitglieder dieser Schule bzw. des Trägervereins. Davon haben wir uns distanziert. Es ist eine immanente Gefahr, wenn man mit öffentlicher Meinung umgeht, dass manche Individuen "übers Ziel hinausschießen". Das haben wir auch erfahren, auch wenn es natürlich nicht unsere Absicht war, persönlich zu werden.
Gegen Ende der Kampagne zeichnete sich eine Tendenz ab, die weiteres aktives Vorgehen unnötig erschienen ließ und wir zogen uns weitgehend zurück. Auch gegen weitere emotionale Angriffe von Gemeinderäten waren wir gewappnet und konnten verständnisvoll und erklärend abwehren. In der letzten Woche zogen noch einmal Gerüchte durch den Ort. Diese haben wir nicht öffentlich kommentiert, sondern warteten die entscheidende Gemeinderatsitzung ab.
III. Maßnahmen
Das Thema war über inoffizielle Schulbesichtigungstermine bereits dem vorherigen Elternvertreter und der Schulleitung bekannt. Die Elternvertreter unserer Schule waren daraufhin in der Bürgermeistersprechstunde gewesen und hatte dort nach Informationen gefragt – wurde allerdings auf die kommenden Gemeinderatsitzungen verwiesen. Mittlerweile berichteten auch die Medien von der Anfrage des privaten Trägervereins. Die Ansiedlung war dann Bestandteil einer öffentlichen Sitzung – das Thema wurde dort allerdings nur nichtöffentlich behandelt. Einen Monat später wurde es dann in einer öffentlichen Gemeinderatsitzung beraten, in der auch u.a. die anwesenden Elternvertreter Fragen stellen durften. Nach dieser Sitzung fand die neue Elternbeiratswahl statt, in der ein neues Elternvertreterteam gewählt wurde. Eine der ersten Amtshandlungen war die Schaffung eines Internet-Elternforums, in dem alle Aktivitäten und aktuelle Informationen der Elternvertretung kontinuierlich veröffentlicht wurden und werden.
Wir starteten unsere Kampagne mit einem dreiseitigen Brief an den Gemeinderat, in dem wir aus unserer Sicht und Vor- und Nachteile eine Ansiedlung dieser Schule auf unserem Gelände darstellten und unsere offenen Fragen formulierten. Zudem informierten wir die Eltern über die Fakten und die Vor- und Nachteile in einem Elternbrief. Mit der Presse führten wir ein Gespräch, in dem wir die Gestaltungspläne und das Potenzial unserer Schule darstellten.
Zwei Wochen später wurden wir zu einem gemeinsamen Gespräch mit Vertretern des privaten Trägervereins, mit der Verwaltung, dem Bürgermeister und den Fraktionsvorsitzenden eingeladen. Nach diesem Gespräch führten wir noch einige Gespräche mit einzelnen Fraktionen bzw. Gemeinderäten. Bei der öffentlichen Diskussionsveranstaltung einer Gemeinderatsfraktion kam es zu einer hitzigen Diskussion zwischen Elternvertretung und Gemeinderäten, die vehement für die Ansiedlung eintraten. Die Presse berichtete von dieser Kontroverse. Die Diskrepanzen wurden in anschließenden Gesprächen teilweise entkräftet, jedoch änderte sich die unterschiedliche Gesamtsichtweise nicht. Nach dieser Präsentation von potenziellen Vorteilen einer Ansiedlung verfassten wir ein weiteres, dreiseitiges Schreiben an den Gemeinderat, in dem wir auf diese Argumente eingingen und weitere Fakten darstellen.
Wir suchten den Kontakt zur Privatschule und gingen dort einen Tag hospitieren, um uns ein Bild von der Schule zu machen. Im Internetforum berichteten wir von unseren Eindrücken in neutraler Weise.
Eine Woche später fand eine nichtöffentliche Gemeinderatsitzung zu dem Thema statt. Die generelle Lage schien sich zu „entspannen“, da es anscheinend keine Mehrheit für eine Ansiedlung gab. So nahmen wir von weiteren Aktionen Abstand. Mittlerweile hatten allerdings Anwohner selbstständig begonnen, Unterschriftenlisten gegen die Ansiedlung zu sammeln. Wir suchten den Kontakt zu ihnen und gaben ihnen das Signal, dass sie ihre Aktion nicht fortführen bräuchten. Im Internetforum berichteten wir nicht mehr über das Thema.
Eine Woche vor der entscheidenden Gemeinderatsitzung fand noch eine öffentliche Diskussionsveranstaltung statt, diesmal von einer anderen Fraktion. Zu dieser kamen viele interessierte Bürgerinnen und Bürger und Eltern, die selbst ihre Bedenken vortrugen. Die Elternvertreter konnten sich weitgehend zurückhalten. Die Gesprächsstimmung war weitgehend konstruktiv. Auf Provokationen und Anschuldigungen von Gemeinderäten reagierten wir deeskalierend. Es zeichnete sich eine Gesamttendenz gegen eine Ansiedlung ab. Die Presse berichtete in der Folgewoche über diese Sitzung.
Als dann eine halbe Woche vor der Sitzung die Tagesordnung publik wurde, kam noch einmal Verwunderung auf, da es keinen formulierten Beschlussvorschlag für diesen Punkt gab. Gerüchte schwirrten durch den Ort, warum dies so sei. Die Medien suchten kurzfristig Klärung und zitierten die Verantwortlichen. Letztlich blieb es spannend bis zuletzt, ob und wie die Abstimmung ablaufen würde.
Intern riefen wir die Eltern unserer Schule auf, möglichst zahlreich zur entscheidenden Gemeinderatsitzung erscheinen, um ein Signal zu geben, dass wir nicht alleine dagegen gesprochen hatten, sondern durchaus die Unterstützung unserer Basis hatten. Es kamen zahlreiche Eltern – der Bürgermeiser sprach von einer nie dagewesenen Menge von Zuschauern. Wir Elternvertreter brachten in der Fragestunde der Sitzung das nächste Thema auf die „Agenda“: die Sicherung des Schulwegs im Ort. Damit zeigten wir ebenfalls, dass wir uns unabhängig von dieser Privatschule und der Abstimmung weiterhin für das Wohl der Kinder im Ort einsetzen werden. Die Verwaltung und der Bürgermeister sagten uns spontan ein Treffen zu, um dies Thema gemeinsam zu erörtern.
Wir verließen die Sitzung unauffällig gleich nach der Entscheidung. Das Abstimmungsergebnis wurde im Elternforum sachlich und ohne Kommentar gepostet.
Soviel zur „Investitionsseite“
IV. Die Medienresonanz
Die Medien berichteten regelmäßig über das Thema. Der Ort wird von zwei Medien „dominiert“. Das eine Medium berichtete von vorneherein sehr positiv über eine mögliche Ansiedlung. Die andere Zeitung beleuchtete die Sache eher kritisch. Diese Medienberichte spiegelten unsere Position sehr gut wieder. Die Berichte der positiv eingestellten Zeitung verwechselten manchmal Zitate, es kam jedoch nicht zu völligen Fehldarstellungen. Im Laufe des Prozesses stellte auch die positiv voreingestellte Zeitung z.B. die Kosten als erheblichen Nachteil dar.
Im lokalen Amtsblättchen wurden nicht viel über das Thema berichtet. Die zwei Veranstaltungen von Fraktionen wurden jeweils von diesen dargestellt und wir als Elternvertreter konnten im Rahmen des Fördervereins Informationen veröffentlichen.
Über die Medienresonanz wurde die örtliche Öffentlichkeit regelmäßig über das Thema informiert.
V. Direkte Zielgruppenresonanz
Wir als Elternvertreter hielten engen Kontakt zu der Zeitung, die unserer Position aufgeschlossen war. Zu dem anderen Medium, das das Thema ausdrücklich positiv darstellte und kommentierte, bestand kein direkter Kontakt.
Zu den Eltern hatten wir sehr viel Kontakt. Da es ein sehr kleiner Ort ist und wir in verschiedensten Funktionen aktiv sind lief sehr viel Austausch in informellen Gesprächen. Von den Eltern erfuhren wir große Unterstützung und Wertschätzung für unsere Aktivitäten. Obwohl die Mehrzahl der Eltern eine passive Menge blieb, meldeten sich im Laufe des Prozesses zahlreiche Eltern und beteiligten sich an den öffentlichen Terminen der Fraktionen und des Gemeinderats.
Mit der Schulleitung hielten wir kontinuierlich engen Kontakt. Da im Laufe des Prozesses die Schulleitung wechselte, war es schwer, durchgehend eine Position zu halten. Letztlich war es ratsam für die Schule sich nach einer ersten Stellungnahme aus der Diskussion herauszuhalten, da sie nicht unabhängig von der Verwaltung ist.
Mit der Verwaltung und dem Bürgermeister kamen wir bei dem Treffen aller Beteiligten in direkten Kontakt. Der Umgang war freundlich und recht offen.
Die Gemeinderäte lernten wir ebenfalls durch diesen Prozess kennen und sie uns. Der Umgang lief weitgehend freundlich und fair.
Die Anwohner des Schulgeländes griffen das Thema selbständig auf und ergriffen eigene Maßnahmen. Wir vertraten dieselbe Position.
Die Vertreter des privaten Trägervereins fühlten sich von uns stark provoziert und angegriffen. Sie haben jedoch nie den konstruktiven, offenen Austausch mit uns oder der Schule gesucht, sondern nur mit der Verwaltung Kontakt gehalten. Selbst auf Nachfragen unsererseits kam keine Antwort. Ein engerer Kontakt zu ihnen hätte den ganzen Prozess sicher konfliktloser ablaufen lassen und eventuell sogar die Entscheidung beeinflusst.
Die Eltern der privaten Schule und des Trägervereins haben angeblich im Laufe des Prozesses unangenehme Erlebnisse im Ort gehabt. Sofern das auf unser Verhalten zurückzuführen war, haben wir uns dafür entschuldigt. Es blieb jedoch ein klammes Gefühl, da wir niemanden persönlich verletzen wollten. Es ging uns um die Sache und nicht um die Menschen, die wir nicht auf unserem Campus haben wollten.
VI. Beziehungen, Reputation und die Entscheidung
Wir haben im Laufe der Kampagne sehr gute Beziehungen zu den Medien, zu den Gemeinderäten, zur Verwaltung und dem Bürgermeister aufgebaut. Die Beziehung zur Schulleitung war bereits vorher einwandfrei – trotz eines Personalwechsels mitten im Prozess.
Wir als neue Elternvertreter hatten durch dieses Projekt einen sehr intensiven Start mit „unseren“ Eltern, von denen wir sehr viel sehr positives Feedback erhielten.
Die Beziehung zu den Vertretern der privaten Schule ist naturgemäß nicht sonderlich gut – sie gehören jedoch auch nicht zu den für uns relevanten Zielgruppen.
Die Entscheidung fiel für uns aus – die Schule wurde abwiesen. Mit zwölf Stimmen gegen eine Ansiedlung, einer Enthaltung und acht Stimmen dafür fiel die Entscheidung relativ eindeutig. Für die Ansiedlung stimmte u.a. die Fraktion, mit der es im Vorfeld die emotional angespannte Diskussion gab. In welchem Maße und konkret welchen Gemeinderat oder welche Gemeinderätin durch unsere Aktivitäten beeinflusst wurde, ist nicht nachzuhalten. Der Bürgermeister jedoch gab in seinem Jahresrückblick zu, den Widerstand der Eltern „unterschätzt zu haben“. Er hatte seine Meinung nach anfänglicher Zustimmung im Laufe des Prozesses geändert und letztlich gegen die Ansiedlung gestimmt – es fehle ihm an der nötigen breiten öffentlichen Unterstützung für eine solche Entscheidung, so sein Statement auf der entscheidenden Gemeinderatsitzung.
In der Gesamtbetrachtung der Angelegenheit stellt sich das Ergebnis für uns Elternvertreter positiv dar. Es gibt jedoch einige Punkte, die nicht optimal liefen und aus denen zu lernen ist: z.B. eine zu emotional geladene Debatte und eine zeitweilige Themenwahl, die als persönlich angreifend wahrgenommen werden konnte. Der Kontakt zum privaten Trägerverein wurde zwar gesucht, aber nicht gefunden – was in hohem Maße an der Gegenseite lag.
Abbildung 1: Evaluation einer politischen Kampagne
Alles in Allem eine sehr spannende Erfahrung!
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern eine geruhsames, friedliches Weihnachtsfest und einen guten Start ins neue Jahr 2010!